Wenn die Wolken nicht mehr lila werden
Depressionen im Arbeitsalltag von Auszubildenden
Da stand er nun. Mein Azubi strahlte, wenn auch etwas verhalten, über das ganze Gesicht. Soeben konnte ich ihm das Ausbildungszeugnis überreichen und ihm für die erfolgreich bestandene Abschlussprüfung gratulieren.
Wie immer hatte ich für diesen Moment einige persönliche Worte vorbereitet. Heute wollten wir feiern. Drei erfolgreiche Jahre lagen hinter uns. Diese Zeit würde uns immer in Erinnerung bleiben. Sie war geprägt durch zahlreiche Ups and Downs und viele Gespräche. Noch heute finde ich es bemerkenswert, wie er das alles gemeistert hat.
Wie es begann
Stefan, Name aus Rücksicht seiner Privatsphäre geändert, begann die Ausbildung mit den „besten“ Voraussetzungen. Ein junger Mann, der die Schule erfolgreich absolvierte und sonst nicht auf den Kopf gefallen ist. Ich würde ihn als zurückhaltend bezeichnen, mit einer guten Portion Humor.
Nach einigen Monaten in der Ausbildung wurde Stefan immer ruhiger und in sich gekehrter. Alles andere verlief wie erwartet gut. Nur war er kreuzunglücklich mit seinem zweiten Einsatzort und bat mich um eine Versetzung an den ersten Ausbildungsbereich. Da es sich nur um eine andere Filiale handelte, wäre das eigentlich kein Problem gewesen.
Ich versuchte, den Hintergrund seiner Bitte genauer in Erfahrung zu bringen. Kolleg:innen und fachliche Begleitung schienen in der Regel freundlich und zugewandt zu sein. Es gab keine offensichtlichen Konflikte und Ausgrenzung seiner Person. Was war nur los? So richtig konnte er das selbst nicht benennen.
Ich führte mit ihm mehrere Gespräche und wir einigten uns, dass er es versucht und ich ihn auf jeden Fall versetzen würde, wenn es weiterhin eine zu große Herausforderung darstellt. Dennoch hielt und halte ich es für sinnvoll, dass diese Erfahrungen gemacht werden, da in der Ausbildung ohnehin einige Wechsel der Ausbildungsbereiche anstehen.
Nach einigen Wochen schien es kein Thema mehr zu sein und er berichtete mir stolz von seinen ersten Erfolgen. Ich war sehr froh darüber und freute ich mich auf die nächste Ausbildungsphase.
Veränderungen
In seinem zweiten Ausbildungsjahr mehrten sich seine Ausfallzeiten und Verspätungen. Traf ich ihn, schlurfte er mit gesengtem Kopf an mir vorbei und brachte lediglich ein gemurmeltes „Hallo“ über die Lippen. Ich suchte das Gespräch mit den Ausbilder:innen an seinem derzeitigem Einsatzort. Sie waren allesamt sehr verwundert über seine Verwandlung. Eben noch einen netten „dummen“ Spruch auf den Lippen und nun war er wie verwandelt. Er suchte keinen Kontakt zu den anderen Azubis, wurde vielfach als antriebslos wahrgenommen und seine Leistungen hatten erheblich nachgelassen. Auf Nachfragen blieb er meist stumm, wie ein Fisch und beteuerte: „Ne, ne, alles bestens. Nur etwas müde in letzter Zeit.“
Bevor dies eine Richtung einschlug, die dem Erfolg seiner Ausbildung im Wege stand, verabredeten wir ein Gespräch. Aufgrund meiner Erfahrungen im Berufsbildungswerk für junge Menschen mit körperlich und psychischen Einschränkungen, vermutete ich eine depressiven Episode, die nur durch eine fachkundige Person sicher abgeklärt werden kann.
Fakten
Der Barmer Arztreport 2018 spricht von einem Anstieg psychischer und Verhaltensstörungen bei 18 bis 25-jährigen in den Jahren 2005 bis 2016 um 38 %. Bei Depressionen wird sogar ein Anstieg von 76 % verzeichnet.
Und hierbei handelt es sich nur um Zahlen zuletzt aus 2016. Die Zahlen aus den Corona-Jahren mit Homeschooling und ‑office sind noch nicht umfänglich empirisch ausgewertet. Wir dürfen von einer weiteren Erhöhung in den letzten drei Jahren ausgehen.
Nicht immer muss eine depressive Episode zu starker Einschränkung im Leben führen. Es ist jedoch empfehlenswert, Warnzeichen zu erkennen und Hilfsangebote und Anlaufstellen anzubieten.
Depressive Episoden werden in leicht, mittelgradig oder schwer klassifiziert. Sie können nur einmal auftreten oder mehrfach und werden in diesen Fällen als rezidivierende depressive Störung bezeichnet.
Allein das Wort „Depression“ führt noch heute zu einer Stigmatisierung. Erkrankte Personen werden als nicht leistungsfähig, zu sensibel, wenig teamfähig und allgemein als wenig engagiert beschrieben. Die Depression kann das Leben unterschiedlich schwer beeinträchtigen und dies zeigt sich nicht zuletzt auch bei jungen Auszubildenden. Insbesondere dann, wenn neue Entwicklungen wie die Berufsausbildung gemeistert werden müssen.
Ich möchte Sie als verantwortliche Ausbilderinnen und Ausbilder für Anzeichen sensibilisieren. Damit die Symptome der Krankheit mit nicht mit Faulheit und Respektlosigkeit verwechselt werden. Diese Erkrankung ist tückisch und wird oftmals erst spät erkannt und leider ebenso spät behandelt. Selbst behandelnde Ärztinnen und Ärzten erkennen nicht immer gleich die Depression, die sich unter Umständen als Wolf im Schafspelz verkleidet und recht „profan“ als körperliches Symptom daherkommt. Dennoch, die die Diagnose obliegt immer fachkundigen Stellen.
Im Rahmen einer Vorlesung hat das Fritz am Urban zum Thema psychische Erkrankungen bei Auszubildenden und deren Auswirkungen am Arbeitsplatz die folgende Zusammenstellung als sichtbare Anhaltspunkte vorgestellt.
Der Kreis wird geschlossen
Wir führten unser Gespräch und weitere im Rahmen seiner Ausbildung folgten. Ich habe mit Stefan unsere Beobachtungen besprochen und ihm Raum für eigene Äußerungen gegeben. Es stellte sich heraus, dass Stefan in früheren Jahren bereits an einer Depression erkrankte und damals in therapeutischer Behandlung war. Er hatte seine Veränderung selbst bemerkt und führte das auf Dinge in seinem Privatleben zurück, die ihn sehr belasteten. Er wünschte sich dringend wieder eine professionelle Begleitung. Vorab hatte ich recherchiert und konnte ihm daher verschiedene Anlaufstellen nennen, bei denen er glücklicherweise recht zeitnah die so wichtige Unterstützung erhielt.
Depression ist heilbar
Ich verstehe mich als Begleitung im Arbeitsalltag, niemals als Therapeutin. Ganz zum Anfang meiner Tätigkeit als Ausbilderin habe ich soziale Verantwortung und Fürsorge falsch verstanden und bin über das Ziel hinausgeschossen. Dieser falsch verstandene Unterstützungsauftrag tut uns als Ausbilderinnen und Ausbildern nicht gut. Es gibt für Kontaktpersonen viele Fallstricke, die sich im nicht fachkundigen Kontakt negativ auf das eigene Seelenkostüm auswirken.
Ich kann nur abraten, mit Laienpsychologie aktiv zu werden. Überlassen Sie die Therapie den Fachleuten.
Das können Sie tun
- Informationen für den Fall der Fälle über Hilfsangebote bereithalten
- Berlin: Soulspace, Familienportal
- Bundesweit:Deutsche Depressionshilfe, Therapie.de
- Gespräch suchen, Beobachtungen und Auffälligkeiten benennen und weitere Schritte klären
- Erwartungen an erforderliche Verhaltensänderungen transparent benennen
- Mut machen, professionelle Hilfe einzuholen
- BEM – Betriebliches Eingliederungsmanagement einbeziehen
- Ansprechpartner:in mit persönlicher Distanz bleiben
Sie wünschen sich weitere Empfehlungen und wollen Ihr Wissen erweitern? Ich begleite Sie oder Verantwortliche in Ihrem Unternehmen gern auf diesem Weg. Nutzen Sie die Gelegenheit für ein kostenloses Erstgespräch.
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